Cover
Titel
Wirtschaft, Krieg und Seelenheil. Papst Martin V., Kaiser Sigismund und das Handelsverbot gegen die Hussiten in Böhmen


Autor(en)
Kaar, Alexandra
Reihe
Regesta Imperii - Beihefte: Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters (46)
Erschienen
Anzahl Seiten
392 S.
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ansgar Frenken, Ulm

Die Verurteilung und Verbrennung des Prager Magisters Jan Hus auf dem Konstanzer Konzil am 6. Juli 1415 wurde zum Fanal eines revolutionären Aufstands in Böhmen und Mähren, der in kurzer Zeit große Teile Zentraleuropas in Flammen setzen sollte. Gegen diese Hussiten, wie die Anhänger des böhmischen Reformers bald genannt wurden, ergriffen Kirche und Reich rasch und entschieden Partei, da sie in ihnen eine existentielle Gefahr für den Fortbestand der traditionellen Ordnung witterten. Mit mehreren Kreuzzügen versuchten sie die Aufständischen in den folgenden anderthalb Jahrzehnten zu bezwingen; allerdings blieben diese Anstrengungen nach vielen demütigenden Niederlagen insgesamt erfolglos. Militärisch war der Häresie jedenfalls nicht beizukommen. Flankierend sollten wirtschaftliche Maßnahmen, herkömmlich oft „Embargo“ genannt, die Hussiten in die Knie zwingen. Dieses Embargo, das Alexandra Kaar zurecht als ein „Handelsverbot“ bezeichnet, und seine verschiedenen Ebenen sind zentrales Thema des vorliegenden Buches, bei dem es sich um eine überarbeitete Fassung einer 2017 vom Institut für Geschichte der Universität Wien angenommenen Dissertation handelt.

Die Autorin hat es sich zur Aufgabe gemacht, das gegen die Hussiten gerichtete Handelsverbot in seiner ganzen Komplexität und unter Einbeziehung des ideengeschichtlichen Kontexts einer grundlegenden wie umfassenden Analyse zu unterziehen. So untersucht sie einerseits die einschlägigen Quellen zum wirtschaftlichen Kontakt zwischen Hussiten und Nichthussiten, andererseits interpretiert sie das Handelsverbot als einen symbolisch-kommunikativen Prozess vor dem Hintergrund der Legitimität von Handelsbeziehungen zwischen Christen und Nichtchristen – ein bezogen auf die Einschränkung des Handels mit den Hussiten konsequent auf seine Relevanz überprüfter Ansatz. Hinter ihrer exemplarischen, das konkrete und alltägliche Verhalten einbeziehenden Analyse des Handelsverbots steht für Kaar die grundlegende Fragestellung: „Wie funktionierte päpstliche oder königliche Herrschaft in der Praxis und wie gelang es einem Herrscher, in weit entfernten Regionen seinen Willen tatsächlich durchzusetzen?“ (S. 12) Damit greift ihre Arbeit methodisch weit über den Rahmen einer räumlich-geografisch und zeitlich eng begrenzten regionalen Fallanalyse hinaus.

Gegliedert ist das Buch in insgesamt sechs Abschnitte. Zunächst (S. 14–41) zeichnet Kaar in knappen Zügen die auch begrifflich uneinheitliche Forschungstradition (Embargo, Verbot etc.) nach und entscheidet sich in ihrer eigenen Arbeit für die dem mittelalterlichen Sprachgebrauch entnommene Bezeichnung „Handelsverbot“, auch und nicht zuletzt um den normativen Charakter des Begriffs hervorzuheben. Anschließend geht sie auf die kirchenrechtlichen Implikationen eines päpstlichen Handelsverbots („papal embargo“) gegenüber Häretikern und dessen inhaltliche Entwicklung seit dem 12. Jahrhundert ein. Im zweiten Abschnitt (S. 42–106) gibt sie dann einen kursorischen Überblick über die Hussitenkriege. Darüber hinaus mustert die Autorin die bisherige Forschung zum antihussitischen Handelsverbot mit kritischem Blick und benennt deren inhaltliche und methodische Schwächen. Außerdem charakterisiert sie die einschlägige Quellenlage und weist auf deren begrenzte Aussagekraft sowie die Uneindeutigkeit und Formelhaftigkeit vieler Quellen hin. Zuletzt benennt sie Fragestellung, Methodik und Ziele ihrer Untersuchung.

Im Anschluss an die ausführlichen, zugleich aber auch recht langatmigen Vorarbeiten und Vorüberlegungen untersucht Kaar im dritten Abschnitt (S. 107–216) das „Handelsverbot als instrumentelles Kriegsmittel“. Sie beschäftigt sich sowohl mit den Akteuren des das hussitische Böhmen tangierenden Fern- und Nahhandels als auch mit den verschiedenen Handelsgütern und -waren. Dabei unterscheidet sie zwischen Alltagswaren wie Salz, Wein und Getreide, strategischen Gütern, etwa Kriegswaffen und Metallen, und Luxusgütern. Weiter wirft sie einen genaueren Blick auf die Handelsstraßen nach und durch Böhmen, analysiert das Phänomen der einschlägigen Privilegierungen und befasst sich mit Maßnahmen zur praktischen Durchsetzung des Handelsverbots sowie entsprechenden Sanktionierungen. Schließlich geht sie noch auf das Problem der Kohabitation zwischen Hussiten und Katholiken ein, wobei sich gerade in diesem Bereich die Schwierigkeiten und Probleme bei der konsequenten Umsetzung eines Handelsverbots im Alltag besonders deutlich zeigen. Für ihre Untersuchung kann sich Kaar auf ein breitgefächertes Spektrum gedruckter und ungedruckter Quellen stützen, sie weist aber zugleich darauf hin, dass manches verlorengegangen ist und serielle Quellen für diese Fragestellung fehlen.

Im vierten Abschnitt (S. 217–280) geht es um das Handelsverbot als einen symbolisch-kommunikativen Prozess der Auseinandersetzung mit den Hussiten. Aus der ethisch-moralischen Abwertung des Handels mit den Hussiten (als Häretikern) entwickelte sich das Gefühl der Sündhaftigkeit solchen Tuns; das eigene Seelenheil war damit potenziell gefährdet. Die Kreuzzugspropaganda konnte so auf fruchtbaren Boden fallen. Kaar kann zeigen, wie wachsende Angst und verbreitetes Misstrauen zu einem Klima führten, in dem vermeintliche Kollaborateure in den Fokus der Verfolgung geraten konnten. Die militärische Erfolglosigkeit ließ im katholischen Lager eine Art „Belagerungsmentalität“ entstehen (S. 246), die das Klima vergiftete. Der Vorwurf des Handels mit den Hussiten, mithin auch nur der bloße Verdacht erwiesen sich als wirkungsmächtiges Mittel, um gegen tatsächliche oder angebliche Kollaborateure vorzugehen, manchmal auch um unliebsame Konkurrenz auszuschalten. Nicht selten wurde auch der Vorwurf der Spionage erhoben bzw. bestimmte Personen(-gruppen) dieser verdächtigt. Selbst ohne handfeste Beweise konnte ein solcher Verdacht schlimme Konsequenzen haben, wie die Autorin am Beispiel der Juden in Wien zeigen kann. Ebenfalls ließen sich seitens der Obrigkeit soziale Konflikte mit der Prärogative des Kampfes gegen die Hussiten oder dem Vorwurf einer hussitischen Infiltration unterdrücken.

In einem weiteren Kapitel (S. 281–302) stellt Kaar zwei exemplarische Fälle vor, an denen sie das antihussitische Handelsverbot als komplexes Zusammenspiel von instrumenteller Ebene und symbolischer Ebene sozialen Handelns paradigmatisch verdeutlichen kann. Als letzter Teilabschnitt (S. 303–326) folgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse ihrer Arbeit unter der Fragestellung „Hat das antihussitische Handelsverbot gewirkt?“, wobei Kaar noch einmal auf ihre Eingangsthesen und Zielsetzungen zurückkommt. Sie zeigt sich überzeugt, dass das von der Forschung im Ansatz bereits gezeichnete Bild eines durchlässigen Handelsverbots durch ihre Arbeit bestätigt werden kann. Böhmen, so ihr zentrales Ergebnis, blieb auch „während der Hussitenkriege auf vielfältige Weise wirtschaftlich mit seinen Nachbarländern verflochten“ (S. 311).

Insgesamt gelingt es Kaar, die Komplexität der Durchsetzung eines Handelsverbots in einer Welt zu verdeutlichen, in der die weltlichen Herrscher aufgrund unzureichender Machtmittel und mangelnder Kontrollmöglichkeiten nur einen begrenzten Zugriff auf die weit entfernt lebenden und agierenden Menschen hatten und oft aus einer widerstreitenden Interessenlage entscheiden mussten. Um Erfolg zu haben, waren die Mächtigen auf den guten Willen der Betroffenen und deren Bereitschaft zur Kooperation angewiesen und mussten entsprechend Zugeständnisse ihnen gegenüber machen. Das macht es schwierig, den Erfolg des Verbots genau zu messen. Noch komplizierter verhält es sich bei einem päpstlichen/kirchlichen Embargo; es fehlten die instrumentellen Mittel, um dieses erfolgreich umsetzen zu können. Für einen Erfolg war die Kirche auf die Mitwirkung der weltlichen Mächte (bracchium seculare) angewiesen. Durch die akribische Auswertung vieler Einzelquellen kann Kaar leicht nachvollziehbar eine Vorstellung von den Schwierigkeiten der Durchsetzung des Handelsverbots im konkreten, alltäglichen Handeln vermitteln, die zugleich die von ihr benannten Grenzen einer Bewertung aufzeigt. Letztlich scheitert aber eine umfassende Bewertung an der Lückenhaftigkeit der Quellen ebenso wie an einem fehlenden zeitlichen und regional übergreifenden Vergleich, den sie einfordert.

Abgeschlossen wird die Arbeit durch eine Ortsnamenkonkordanz (S. 327–331), die neben den deutschen Namensbezeichnungen auch die heute gültigen Namen entsprechend der nationalen Zugehörigkeit (tschechisch, polnisch, ungarisch …) anführt, wobei letztere aber nur bedingt den Bezeichnungen den spätmittelalterlichen Quellen entsprechen. Darauf folgt eine umfangreiche Bibliografie (S. 332–364), unterteilt nach archivalischen und gedruckten Quellen, Datenbanken, Lexika und Nachschlagewerken sowie Darstellungen, wobei den tschechischen Titeln eine deutsche Übersetzung mitgegeben wird. Ergänzt wird der Anhang durch eine Liste der verwendeten Abkürzungen und ein Verzeichnis der abgedruckten Karten, außerdem ein Personen- und Ortsregister sowie ein Sachregister (S. 368–387).

Trotz aller inhaltlichen Qualitäten dieser Arbeit, wie ausdrücklich betont werden soll, bleibt beim Lesen ein etwas schaler Nachgeschmack zurück. So stellt sich die Frage, warum die Autorin ihre zugrundeliegende Dissertation im Zuge der von ihr vorgenommenen Überarbeitung für den Druck nicht von den metasprachlichen Erwägungen und Erklärungen befreit bzw. diese deutlich gekürzt hat. Kein Leser (von den Betreuern der Qualifikationsarbeit einmal abgesehen) möchte alle ihre Überlegungen bezüglich des eigenen Vorgehens lesen. Störend sind auch die ständigen Verweise auf frühere oder spätere (Teil-)Kapitel und die zahlreichen Wiederholungen und Redundanzen, die dadurch zwangsläufig in Kauf genommen werden. Der Leser sieht sich fast gezwungen, stets einen Finger im Inhaltsverzeichnis der Arbeit liegen zu haben. Umgekehrt hätte man sich einen stringenteren Aufbau sowie eine klarere Sprache gewünscht; Wortneuschöpfungen bzw. ungebräuchliche Fremdwörter wie „embargieren“ (S. 196), eine „emotive“ Sprache (S. 218), „Profanation“ statt Profanierung (S. 219) oder eine „ambigue“ Haltung (S. 318) sind völlig unnötig. Das Lesevergnügen wird jedenfalls dadurch alles andere als gefördert. Man mag diese Mäkeleien für eine Bagatelle halten, sie trüben nichtsdestoweniger den Gesamteindruck einer Arbeit, über deren Wert man bei aller Kritik nicht zu diskutieren braucht.

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